Wenn der Wolf dein Strohhaus umpustet

Anneke Borbe wird im Sommer von Werder Bremen zum VfL Wolfsburg wechseln. Mal wieder Zeit für eine Diskussion über den State of the Liga?

Außenansicht des AOK-Stadions in Wolfsburg

Borbes neue Wirkungstätte: Das AOK-Stadion im Wolfsburger Allerpark. Bildquelle: Wikipedia


Bei solchen Wechseln, wie heute wieder einer angekündigt wurde, fühlt man sich als Fan der Frauen-Bundesliga immer etwas machtlos. Anneke Borbe, erst 22 Jahre alt aber immerhin schon seit acht Jahren bei Werder Bremen zwischen den Pfosten, wird im Sommer den Verein in der Hansestadt verlassen und sich auf den Weg in die Autostadt machen. Damit ist sie bei weitem nicht das einzige Talent der Liga, das es in der Sommerpause wieder an den Mittellandkanal zieht – den vor einigen Wochen angekündigten Wechsel von Chantal Hagel zum VfL hatte ich auf diesem Blog bereits kurz angesprochen – aber im Gegensatz zur TSG (und auch der SGS Essen) ist Werder Bremen kein Verein, der regelmäßig Leistungsträgerinnen an den VfL abgibt. Das sagt sicherlich auch das ein oder andere über die generelle Kaderqualität bei Werder aus, aber es ist eben am Ende des Tages schlichtweg Fakt.

Nun kann man Borbe diesen Wechsel in keinster Weise verdenken. Einerseits ist allgemein bekannt, dass die Bedingungen für Spielerinnen in Wolfsburg ligaweit mit Abstand die besten sind – sonst würde das konstante Abwerben von Talenten ja niemals funktionieren – andererseits wurde gerade in Bremen schon der Finger ziemlich tief in die Wunde gelegt, was die Rahmenbedingungen für das Bundesliga-Team angeht. Zwar wird Borbe in Wolfsburg sportlich aller Wahrscheinlichkeit nach relativ viel auf der Bank sitzen, aber immerhin ist dort, im Gegensatz zur Bremer Kabine, immerhin ein Platz für sie. Und eventuell reicht selbst die Reservistinnen-Rolle beim VfL für ein Gehalt, das das in Bremen um einiges übersteigt – genauere Modalitäten sind natürlich nicht bekannt, aber nahe liegt es natürlich trotzdem. Selbst wenn sie sportlich also die Position als Nr. 1 von Merle Frohms nicht ins Wackeln bringt, wird sie in Wolfsburg perspektivisch besser versorgt sein als sie das an der Weser je sein könnte.

Sportlich macht auch die Verpflichtung Borbes für Wolfsburg Sinn. Nach dem Weggang von Almuth Schult wurde zwar relativ schnell die neue Nationaltorhüterin Merle Frohms verpflichtet, dahinter wird es allerdings ganz untypisch für Wolfsburg etwas dünn im Kader. Lisa Weiß ist eine gestandene Torhüterin, die für die SGS Essen über 200 Bundesliga-Spiele auf dem Buckel hat und auch etwas internationale Erfahrung sammeln konnte. Diese Vita ist beeindruckend, allerdings wird Weiß dieses Jahr auch schon 36. Ebenso in einer späteren Phase ihrer Karriere ist Katarzyna Kiedrzynek, die aber immerhin auch polnische Nationaltorhüterin ist. Mit Julia Kassen steht noch eine dritte Torhüterin im Wolfsburger Kader, allerdings geht die mit Jahrgang 2002 tatsächlich noch als Talent durch. Mit Borbe verpflichtet man also eine sichere Nummer 2 mit Bundesliga-Erfahrung, wenn Weiß und Kiedrzynek irgendwann mal ihre Karriere beenden. Weise Voraussicht also.

Die Taschen sind tief

Weise Voraussicht, die man sich auch leisten können muss. Der VfL Wolfsburg kann das, und hat sich damit zum unumstrittenen Primus der Liga gemacht. Nach einem (vergleichsweise) etwas wackligen Start mit Tommy Stroot in der vergangenen Saison steht man mittlerweile in der Liga mit 12 Siegen aus 12 Spielen da, war im vergangenen Jahr bis auf einen kleinen Ausrutscher am Camp Nou komplett ungeschlagen – selbst das Rückspiel konnte man gewinnen, und dem FC Barcelona damit die erste Saisonniederlage zufügen – und lieferte zwar in der Gruppenphase der Champion's League teils uninspirierte Leistungen ab, schaffte aber trotzdem souverän und vor allem ungeschlagen den Gruppensieg. Man mag Kathrin Lehmann als Expertin bei Magenta Sport viele Sachen unterstellen, aber in einer hat sie definitiv recht: Alles unter einem souveränen Double-Gewinn und CL-Halbfinale ist für den VfL eine enttäuschende Saison. Und selbst dann muss es noch nicht heißen, dass es wirklich eine gute Saison war.

Am 12. Spieltag der Frauen-Bundesliga war ich im Rasenfunk geladen, um den ersten Rückrunden-Spieltag zu besprechen. Insgesamt ist es eine sehr lohnende Folge geworden, die sicherlich allen Lesenden Spaß machen wird, gerade im letzten Teil zur wiederholten Absage des Turbine-Spiels. Allerdings wurde auch hier sehr deutlich klar: Selbst für Fans des Frauenfußballs lohnt es sich in dieser Saison kaum, Ligaspiele des VfL Wolfsburg zu schauen. Woher auch, wenn das häufigste Ergebnis bisher 4:0 für die Wölfinnen ist? Selbst als eingefleischter Nerd habe ich das Spiel überhaupt nur eingeschaltet, weil mein Interesse an der SGS Essen aufgrund ihrer Form in vergangenen Spielen aktuell sehr hoch ist. Für neutrale Zuschauer*innen gab es hier allerdings Wolfsburger Standardkost. Zwar mit etwas Mühe im ersten Durchgang, dafür aber in der zweiten Hälfte schlichtweg mit mehr Kondition, mehr Klasse, mehr Kreativität, mehr Ballbesitz, mehr Chancen, mehr Pässen, schlichtweg mehr Fußball.

Aktuell kommt im nationalen Vergleich einfach niemand an die Wölfinnen ran. Bei den Bayern mag man hier noch die Gewöhnung an den Stil des neuen Trainers Alexander Straus vorschieben, aber selbst das ist nicht mehr als eine fadenscheinige Erklärung: Selbst der zweitbeste Klub der Liga verliert teilweise Spielerinnen an den Verein aus der Autostadt. In der vergangenen Sommerpause waren das beispielsweise Kristin Demann und Marina Hegering – letztere ist im Herbst ihrer Karriere und hat in Wolfsburg etwas gesehen, was es in München nicht gibt: Die Möglichkeit auf eine Karriere nach der Karriere. Eine Perspektive auf ein Leben im Fußball, ähnlich wie das bei Borbe und vielen anderen Transfers der Fall gewesen sein wird.

Lachend in eine Kreissäge rennen

Ich möchte das keiner Spielerin, keinem Teil des Staff und niemandem in der Peripherie des Frauen-Teams schlechtreden. In Deutschland gibt es einfach keine Adresse, die so viele Möglichkeiten bietet wie Wolfsburg. Aber gerade wenn man die Zukunftsvisionen des DFB im Hinterkopf hat, nach denen bis 2030 durchschnittlich fünf- bis siebentausend Zuschauer*innen bei den Spielen sein werden, während 600.000 Leute an der Mattscheibe kleben muss man doch zumindest die Frage aufwerfen: Wie soll das funktionieren, bei einer sportlich so kaputten Liga?

Der Schnitt bei den Spielen ging zwar seit der Europameisterschaft hoch und Highlight-Spiele können auch in den großen Stadien vermarktet werden, aber wie oft kann man denn eine 0:4-Niederlage gegen Wolfsburg verkaufen, bis selbst die interessiertesten Fans entweder zurück zur Männer-Bundesliga gehen – wo es ja aktuell beinahe so etwas wie einen Meisterschaftskampf gibt – oder sich gleich andere Sportarten anschauen, die vom ungebändigten Kapitalismus nicht so zerfressen sind, dass man es kaum einen Wettbewerb nennen kann. Alleinstellungsmerkmale in Form von süßen Dorfvereinen wie dem SC Sand oder traditionsreichen Namen des Frauenfußballs wie der Turbine wird es schließlich bald nicht mehr geben. Das ist vom DFB auch so gewollt, wenn man sich das Fazit im letzten Saisonreport anschaut. Dort heißt es:

Die Klubs der FLYERALARM Frauen-Bundesliga weisen im Durchschnitt ein negatives Saisonergebnis von mehr als 1,5 Mio. Euro auf.

Diese Zahl ist maßgeblich von den Lizenz-Klubs beeinflusst. Auch die Vereine, die keinem Männer-Klub der ersten drei Ligen angehören, weisen zwar im Durchschnitt ein leicht negatives Saisonergebnis in Höhe von 151.000€ auf, dennoch befindet sich die Liga in keiner wirtschaftlich bedrohlichen Situation. Das negative Saisonergebnis spiegelt vielmehr das immer größer werdende nachhaltige Engagement der Lizenz-Klubs im Frauenfußball wider.

Was soll also am Ende dafür sorgen, dass die Frauen-Bundesliga tatsächlich wächst? Vertraut man wirklich so sehr darauf, dass es reicht einen runden Ball 90 Minuten lang zu treten, dass alles andere – Attraktivität der Standorte, ein ausgeglichener Wettbewerb, ein solider Unterbau und strukturelle Ebenbürtigkeit – nur Fensterdekoration ist?

Im Rasenfunk meinte ich noch, man müsse ein Produkt erstmal verkaufen, ehe man es Scheiße machen könne. Das ist im Bereich des Venture Capital ja bereits Gang und Gäbe, und da der Frauenfußball für Entscheider*innen (möchte eigentlich gar nicht gendern) bestenfalls ein Investitionsobjekt ist, sollte man doch eigentlich meinen, dass die selbe Logik auch hier anwendbar ist.

Als Fernbusse neu waren, gab es noch eine Hand voll verschiedener Anbieter, mit denen man halbwegs bequem von A nach B reisen konnte. Eine Fahrt mit dem Flixbus von Frankfurt nach Mannheim kostete damals 5 Euro. Dass damit kaum die laufenden Kosten gedeckt wurden, wurde nicht nur in Kauf genommen, es war sogar Absicht. Denn nach einigen Jahren wurden die Konkurrenten alle entweder aufgekauft, oder haben sich aus eigenen Stücken aus der Branche verabschiedet. Ruhet in Frieden PostBus, MegaBus und MeinFernbus. Mittlerweile kostet die Strecke von Frankfurt nach Mannheim mit dem FlixBus mehr als das doppelte und der Marktanteil der grünen Busse beläuft sich auf 95,4%.

Wenn jetzt ein neues Busunternehmen daherkommt, die Strecke von Offenbach nach Ludwigshafen für zwei Euro weniger anbietet, die Sitze unbequem sind und das WLAN nicht funktioniert, dann bleibe ich am Ende eben doch beim FlixBus. Und jetzt könnt ihr euch ausdenken was die Parrallelen zum neuen Fernsehvertrag für die Frauen-Bundesliga mit sechs verschiedenen Anstoßzeiten, Montagsspielen und Übertragung bei DAZN sind.

Parlez-vous argent?

Aber Fakt ist eben auch, dass die Bundesliga als Produkt bereits jetzt schon nur noch zweitrangig ist. Dabei handelt es sich zwar vielleicht um das täglich Brot vieler Spielerinnen (wenn auch für viele nur ein Zubrot), aber das echte Geld steckt bereits jetzt in der Champion's League. Und überhaupt ist der internationale Wettbewerb so prestigeträchtig, dass Gedanken über die Gesundheit des nationalen im Fußball schon seit Jahrzehnten unter den Tisch fallen. Wer bei den Männern die Dominanz weniger Klubs in allen Top-Ligen Europas außerhalb der Premier League lamentiert, der wird sich freuen, dass es bei den Frauen in Spanien, Frankreich und Italien ebenso wie bei uns in Deutschland das selbe in grün ist. Barcelona ist quasi bereits Meister, AS Rom liegt aktuell acht Punkte vor den zweitplatzierten Turinerinnen und in Frankreich ist es zwar auf den ersten beiden Plätzen spannend, danach folgt aber auch schon wieder eine Lücke von satten neun Punkten.

Der europäische Spitzenfußball ist kopflastig, das gilt auch für den Frauenfußball. Wenige Vereine machen den kompletten Wettbewerb unter sich aus und bis auf wenige Ausnahmen haben kleinere Klubs eigentlich keine Chance, dort mitzuspielen oder sich gar zu etablieren. Dass das auf Kosten der nationalen Wettbewerbe geht, wird nicht nur hingenommen, es wird sogar begrüßt. Das funktioniert vielleicht bei den Männern, wo der Fußball so etabliert ist, dass man selbst mit dem kaputtesten System noch Milliardenbeträge umsetzen kann. Das kann man allerdings einem Produkt, das noch wachsen und sich etablieren soll, nicht einfach überstülpen und erwarten, dass die Begeisterung nach der Europameisterschaft mehr als ein Strohfeuer ist.

Ideologisch habe ich mit den Entscheidenden in dieser Sache sicherlich nicht viel gemein, allerdings sollten wir uns doch auf eine Sache einigen können: Die Liga muss sich erstmal verkaufen, ehe sie langweilig sein kann. Und dafür braucht es einen echten Wettbewerb.


Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social

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