Pride Is A Riot

Die verkorkste Queerpolitik der Ampel macht mich gegen meinen Willen zur Aktivistin.

Eine Person mit geschlossenen Augen und Lidschatten in trans Pride-Farben

Bildquelle: Photo by Kyle on Unsplash

Seit einigen Tagen trage ich einen Sport-BH, weil durch die Hormonersatztherapie, die ich seit letztem August bekomme, langsam tatsächlich Brustwachstum eintritt. Den BH habe ich diese Woche erst gekauft, ich stand im Supermarkt einige Minuten vor dem Tchibo-Regal, wo der BH hing und überlegte, ob ich den jetzt mitnehmen soll. Den Gedanken, dass es sich lohnen könnte, habe ich schon seit einigen Wochen. Aber wie das mit so ziemlich jedem Kleidungsstück oder generellem Gegenstand ist, der in einer cisnormativen und binär denkenden Gesellschaft dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben wird, zögerte ich. Darf ich das? Was wird das Kassenpersonal von mir denken? Einmal habe ich Lippenstift gekauft, und der Kassierer fragte mich, ob das für mich sei. Als ich das bejahte, lachte er mich aus. Wird das wieder passieren? Einmal der Blick nach links, nach rechts, ob es irgendwelche Einkaufenden gibt, die mich gerade sehen. Niemand. Also zack, schnell eingepackt. Blick gesenkt halten beim Bezahlen. Kopfhörer sind sowieso drin.

In diesem Semester wurde das Online-Lernsystem meiner Hochschule umgestellt. Vorher hatte ich mir bei der Immatrikulation einen separaten Account einrichten können, sowohl Studierende als auch Dozierende sahen meinen neuen Namen. Jetzt geht das nicht mehr, der Name richtet sich automatisch nach dem, der im System vermerkt ist. Den Ergänzungsausweis nimmt die Hochschule nicht an. Jetzt sehen also alle meinen Deadname. Und das gerade jetzt, wo ich wirklich wieder ins Studium reinkomme. Bisher war ich, bis auf das erste Semester, eher eine Karteileiche. Das hatte verschiedene Gründe, darunter sicherlich auch eine generelle perspektivische Unsicherheit, die sich in den letzten Monaten gelöst hat. Aber, und das wird meine Therapeutin bestätigen können, ebenso ein Faktor waren bisher Ängste, dass ich wegen meiner trans Identität von meinen Kommiliton*innen und Dozierenden nicht anerkannt, beleidigt oder anderweitig herabgewürdigt werden könnte. Das Überthema lautet hier “Kontrolle” – die habe ich in dieser Situation eben nicht. Lange habe ich daran laboriert, irgendwie klappt es nun. Dafür stehe ich nun vor neuen Herausforderungen. Solchen, die nicht persönlicher Natur sind.

Danke für nichts, Buschmann

Dass das bisher geltende Transsexuellengesetz (TSG) ersetzt werden muss, ist auf politischer Ebene tatsächlich allen demokratischen Parteien klar. Wie das allerdings zu ersetzen wäre, steht schon seit einigen Jahren zur Debatte. Als sich dann 2021 nach der Bundestagswahl eine Ampel-Koalition herauskristallisierte, war ich milde hoffnungsvoll: Vor der Sommerpause 2021 hatten zwei der drei koalitionsbeteiligten Fraktionen und Die Linke einen neuen Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag eingebracht. Das scheiterte damals hauptsächlich daran, dass die SPD auf der Zielgeraden Richtung Bundestagswahl nicht ihre Loyalitäten infrage stellen wollte und geschlossen dagegen stimmte. Inhaltlich hatte niemand ernsthaft etwas daran auszusetzen. Dementsprechend hoch waren die Hoffnungen, zumindest von meiner Seite, als die Ampelkoalition die Regierung übernahm. Schließlich waren sich zumindest bei diesem Thema alle drei Parteien halbwegs einig.

Seitdem ist zwar einiges passiert, aber es wurde auch viel vor sich hergeschoben. Einen tatsächlichen Entwurf zum Gesetz sollte es eigentlich spätestens seit Ostern geben, und selbst das war schon spät. Davor hatte sich Justizminister Marco Buschmann an verschiedenen Stellen unbeliebt gemacht, indem er eine Diskussion über das Hausrecht von Frauensaunen eröffnete, die bestenfalls als unwissend, eher als willentlich ignorant und als Beschwichtigungsversuch in Richtung der lauten Gruppe transfeindlicher Aktivist*innen gedeutet werden kann.

Dementsprechend misstrauisch trat ich gestern der Ankündigung von Sven Lehmann, dem queerpolitischen Sprecher der Bundesregierung, entgegen, als der verkündete, dass der Entwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz fertig sei. Jeglichen Optimismus, dass das Gesetz bald und in einer zufriedenstellenden Version kommen werde, wurde mir hier schon längst genommen.

Erstmal heulen

Heute hatte ich eigentlich einen ordentlichen Tag. Etwas später aufgestanden, als ich mir das gewünscht hätte und die Spielverlegung des nächsten Auswärtsspiels der Eintracht-Frauen macht mir das Leben nicht einfacher. Noch dazu habe ich aktuell Blockseminar und werde deswegen wahrscheinlich einen guten Teil des Spiels gegen Hoffenheim verpassen. Nichtsdestotrotz ist das Thema des Seminars ein sehr interessantes und ich konnte tatsächlich auch meine eigenen Diskriminierungserfahrungen, beispielsweise die mit der Hochschule selbst, mit in die Diskussion einfließen lassen. Das ist aus den ebenfalls oben genannten Gründen immer noch unfassbar scary für mich, allerdings nehme ich auch einiges an Kraft daraus mit, offen damit umgehen zu können. So fühle ich mich wenigstens ein bisschen weniger allein.

Halbwegs guten Mutes kam ich also wieder zuhause an – nur um rauszufinden, dass der Wortlaut des geplanten Gesetzes an die Presse gegangen ist. Und es hat mehr Löcher als ein Block Emmentaler:

Enthalten sind darin auch weitere Sonderregelungen und Klarstellungen etwa mit Bezug auf Sport, Wettkämpfe, Umkleideräume, den Strafvollzug oder Quotenregelungen in Unternehmen.

Auch gibt es Befürchtungen, dass sich nun in böser Absicht Männer zu Frauen erklären und in Frauenumkleiden eindringen könnten oder dass Strafgefangene durch Änderung ihres Eintrags versuchen, in Frauengefängnisse zu gelangen. Dem tritt der Gesetzentwurf mit Klarstellungen entgegen: Durch das Gesetz entstehe kein Anspruch auf Zugang zu geschützten Räumen. Das private Hausrecht bleibe unberührt. Besitzer etwa von Frauen-Fitnessstudios oder -Saunen entscheiden damit im Rahmen der geltenden Gesetze weiterhin selbst über den Zugang. [...] Bei Haftanstalten müsse sich die Unterbringung von Strafgefangenen nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, heißt es. Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangener könnten der Verlegung in ein Frauengefängnis entgegenstehen. (SZ)

Und damit hört es noch nicht auf:

Er [Adrian Hector, B90/Grüne Hamburg] freut sich über den Wegfall von Begutachtung und Gerichtsverfahren, kritisiert allerdings die Sonderregeln in Alltagssituationen. „Für intergeschlechtliche Menschen bedeutet die dreimonatige Karenzzeit eine Verschlechterung. Weder im Gesetz zur Dritten Option, noch im Transsexuellengesetz war eine solche Regelung zuvor enthalten.“

In den sozialen Medien wurde insbesondere der Aspekt der Wehrpflicht kritisiert. So sieht der Gesetzentwurf im Verteidigungsfall vor, dass die Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleibt, wenn „in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang“ der Geschlechtseintrag von männlich zu weiblich oder divers geändert wird. (Tagesspiegel)

Ihr denkt, das sei schon schlimm? Es wird noch besser:

An der Zuordnung von Kindern zu ihren Eltern würde der Entwurf jedoch nichts ändern, sodass weiterhin nur ein Mann zum Zeitpunkt der Geburt zweites Elternteil werden könnte, nicht aber Frauen, Menschen ohne Geschlechtseintrag oder nicht-binäre Personen. „Dieser Missstand muss dringend in der überfälligen Reform des Abstammungsrechts beseitigt werden.“ (Tagesspiegel)

Ausnahmen für Wehrpflicht, Hausrecht, Sportverbände, Medizin und Gefangene also. Zudem eine Verschlechterung für all diejenigen, die bereits eine Personenstandsänderung vorgenommen haben und eine Weiterführung des diskriminierenden Abstammungsrecht mit dem Verweis, dass man das schon später lösen werde.

Als ich das alles gesehen habe, war ich erstmal 45 Minuten lang komplett ohnmächtig und habe durch meine Twitter- und Mastodon-Timeline gescrollt, alles voller anderer Queers und trans Menschen, die ebenso fassungslos sind. Dann habe ich unter Tränen angefangen, diesen Post zu schreiben, um das zu verarbeiten. Jetzt sind zwei Stunden vergangen. Eigentlich wollte ich mir etwas zu essen machen und ein wenig Valorant spielen. Stattdessen ist aus dem dumpfen Schmerz, der als marginalisierter Mensch in einer cisheteronormativen, rassistischen, patriarchalen Gesellschaft immer irgendwo existiert ein scharfer, bohrender Schmerz geworden. Mal wieder wurde von Menschen in Machtpositionen effektiv demonstriert, dass in der Debatte um das Existenzrecht von trans Menschen nicht die Stimmen der Betroffenen zählen. Stattdessen wurde dem Gesetz im Entwurf so viel Biss genommen, dass es genauso gut ein künstliches Gebiss brauchen könnte, um Grießbrei zu kauen.

Niemandem ist damit gedient: Konservative, auch diejenigen, die sich unter einer dünnen Fassade des “Radikalfeminismus” verstecken, werden sich lautstark darüber beschweren, dass es überhaupt Gesetzgebung für trans Menschen gibt. Es gäbe doch so viel wichtigeres auf der Welt, als irgendwelchen Genders ihre Selbstbestimmung zu ermöglichen!
Gleichzeitig verschlechtert sich die Situation für trans Menschen, egal ob sie schon staatlich anerkannt sind oder nicht. Und cis Menschen, die äußerlich nicht in ein binäres Geschlechtersystem passen, werden als Kollateralschaden begrüßt. Nochmal: Niemandem ist damit gedient. Dieses Gesetz ist nicht mal ein pyrrhischer Sieg, denn dafür müsste es ja erstmal ein Sieg sein.

Auf die Barrikaden?

Im Moment würde ich die Windmühlen, gegen die marginalisierte Menschen aller Couleur kämpfen, gerne anzünden. Jetzt gerade empfinde ich Wut, Fassungslosigkeit – aber auch Ohnmacht ob dieser Machtdemonstration seitens des Patriarchats. Morgen geht das Leben für mich schon weiter, doch die Frage bleibt: Was tun gegen die Ohnmacht und die Wut? Beides in Verbindung miteinander sind keine gute Mischung. Das ist eine missbräuchliche Beziehung, aus der es kein Ausbrechen gibt, in der ich allein deswegen bin, weil ich existiere. Und ich kann noch so viel kämpfen, bewegen und anstoßen, noch so laut und unbequem sein – am Ende bin ich doch dem guten Willen der Vertretung des Patriarchats der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. Und wenn ich laut und unbequem bin, kämpfe, bewege und anstoße, zu was macht mich das dann? Ich bin nicht in dieses Game gekommen, um Aktivistin zu sein. Politisch aktiv, ja. Aber nicht für dieses blöde Label “Aktivist*in”, wenn alles was ich will ist, dass ich in Ruhe gelassen werde. Dass ich an einem Freitagabend Videospiele spielen kann, ohne wegen Ungerechtigkeit heulen zu müssen.

Doch wo sonst soll mich dieser Weg hinführen?


Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social

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