Zurück zu Beton
Den viralen Clip von der Hutladen-Besitzerin, die in einer ZDF-Reportage vor einem Parkhaus steht und sich über fehlende Parkplätze in der Innenstadt beschwert, haben wohl einige gesehen. Der Rest der Reportage ist aber auch nicht besser.
Bildquelle: ZDF-Reportage “Parkplatzstress und Abschleppfrust” vom 21.05.23. In der Mediathek
Ich kann mich noch nicht so ganz von Twitter lösen. Insbesondere, um beim Frauenfußball auf dem aktuellen Stand zu bleiben, ist die Plattform bisher für mich leider alternativlos. Beziehungsweise: Die Alternative wäre Instagram, und damit werde ich noch weniger warm als mit Twitter unter Elmo. So kam es, dass mir die Ragebait-Maschine vor einigen Tagen diesen Clip einer Hutladenbesitzerin am Frankfurter Oeder Weg auf die Timeline spülte, die die rührende Geschichte einer Kundin erzählt, die auf der Suche nach einem Parkplatz eine Stunde lang durch die Innenstadt fuhr – während in Spuckreichweite des Hutladens ein Parkhaus gewesen wäre.
Clip schamlos gestohlen von @hae_aehm auf Twitter.
Seit Jahren lebe ich ohne Auto im Umfeld der Rhein-Main-Metropole Frankfurt, und das eigentlich auch ziemlich gut. Je älter ich werde, desto mehr merke ich allerdings, dass eine autolose Existenz für viele beinahe eine Jugendsünde zu sein scheint: Kann man machen, wenn man studiert. Aber spätestens, wenn man Mitte 20 und berufstätig ist, sollte man sich gefälligst einen Verbrenner leisten können. Nun ja, sehe ich gar nicht ein. Bin damit aber wohl auch dem Lager der Extremist*innen zuzuordnen, wie die ZDF-Reportage “Parkplatzstress und Abschleppfrust” zeigt.
Hier werden zunächst zwei Verkehrspolizisten begleitet, wie sie falsch parkende Autos aufsuchen, die sich wahlweise in Lieferanteneinfahrten, Anwohnerparkplätze oder auch ganz schlicht in Fußweite eines Parkhauses im Parkverbot abgestellt haben. So weit, so Copaganda: Einfacher Wohlfühlcontent für die ganze Familie also, alle dürfen sich einmal über die ollen Falschparker*innen aufregen. Wenn man vom Land kommt auch noch darüber, wie schlimm das doch in der Stadt alles ist: Da kann man ja nirgendwo parken! Wie soll ich denn da mit meinem Familienauto zurechtkommen?
VW steht für Vorwahrt
Das Auto als das Standard-Fortbewegungsmittel ist so tief in den Köpfen der Deutschen verankert, dass eine Innenstadt, die nicht den maximalen Komfort für Autofahrende bietet, beinahe schon als eine Dystopie angesehen wird. Wie soll man sich denn fortbewegen, wenn nicht mit dem Auto? Mit Schuld daran trägt sicherlich der marode Zustand und die überhöhten Preise des Bahnverkehrs. Dass man, wenn man nicht mitten in der Innenstadt wohnt, bei der aktuellen Lage im ÖPNV an vielen Orten ein Auto wirklich braucht, um mobil zu sein: geschenkt. Aber wäre es denn wirklich so schwer, sein Auto etwas außerhalb an einem S-Bahnhof zu parken und dann mit dem Zug in die Innenstadt zu fahren? Statt allerdings lösungsorientiert zu arbeiten, verfolgt das ZDF lieber vollkommen unkritisch die zwei oben genannten Verkehrspolizisten und hält einfach mal drauf, während sich eine halbe Stunde lang alle wahlweise über die Parksituation, die Autofahrenden oder den Verkehr generell aufregen. Auch beim Wechsel von der Verkehrspolizei zum von der Stadt beauftragten Abschleppdienst wird hauptsächlich eines klar: Die Geschichten von aggressiven Autofahrern (bewusst nicht gegendert), die ihr Auto in Feuerwehrzufahrten, Liefereinfahrten oder schlicht im Parkverbot abgestellt haben, sprechen von einem unheimlichen Privileg. Denn wer im Metallkasten unterwegs ist, der genießt von so gut wie allen Seiten Vorrang gegenüber jedweder anderen Fortbewegungsmöglichkeit.
Das ganze wird auch nicht besser, wenn von der Frankfurter Innenstadt zum sächsischen ADAC geschaltet wird und dann ein Teil der Reportage von der Autobahn handelt. Anstatt auch hier mal die Frage zu stellen, ob das Volumen an LKWs in Innenstädten und auf der Autobahn überhaupt so sein muss, geht es hauptsächlich darum, dass alle mal “eieiei” sagen dürfen, wenn ein LKW vom Standstreifen einfach so in den laufenden Verkehr rauszieht. Vielleicht müsste es diesen ganzen Verkehr gar nicht geben, wenn das Schienennetz für den Güterverkehr besser zugänglich und kostengünstiger wäre, als alles via LKW quer durch Europa zu schicken? Aber da gehen wir ja schon wieder an die Wurzel des Problems, das wollen wir eigentlich gar nicht. Stattdessen wird schön grafisch eingeblendet, dass man mal lieber mehr Parkplätze bauen sollte:
Bildquelle: ZDF-Reportage “Parkplatzstress und Abschleppfrust” vom 21.05.23. In der Mediathek
Geschäftsführende Ignoranz
Apropos Wurzel des Problems. Man könnte meinen, dass der Clip von der Ladenbesitzerin der Punkt wäre, an dem mein Blut zum Kochen gebracht wurde. Dabei ist das schon viel früher passiert, nämlich als der Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens (gesprochen wird hier von zehn Mitarbeitern [sic]) in seinem Auto abgefilmt wird, wie er sich darüber beschwert, dass ihm die Stadt keine Parkplätze zur Verfügung stellt. Zeig mir bitte einmal den Artikel im Grundgesetz, wo auf das allgemeine Anrecht auf Parkplätze hingewiesen wird?
Nach einer kurzen Recherche stellte ich fest: Das Unternehmen des im Beitrag interviewten Geschäftsführers ist fußläufig halbwegs bequem vom Frankfurter Hauptbahnhof, Festhalle/Messe, Westbahnhof, der Bockenheimer Warte sowie mehreren Tram-Stationen zu erreichen. Das sind alles gut angebundene Verkehrsknotenpunkte. Wie wäre es also, wenn das Geld, das für Stellplätze draufgeht, in ein Jobticket gesteckt wird? Aber damit würde man ja nur den Innenstadtverkehr in einer der größten Pendlerstädte Deutschlands entlasten. Das ist ja nur was für Klimakleber und Hippies. Die 20 Minuten, die er in der Reportage zum Finden eines Parkplatzes braucht, kann man auch gerne als Verspätung bei der Bahn einrechnen, das Geld das für Knöllchen draufgeht (laut Eigenaussage kommt mindestens eins pro Woche) kann in die Unternehmenskasse für die Weihnachtsfeier.
Sicherlich würde mir der Herr eine ebenso passionierte Rede darüber halten, wie unmöglich es ist, neben dem dreckigen Pöbel in der Bahn zu stehen. Ich habe genau solche Unterhaltungen schon an vielen Stellen geführt. Ich kenne die Argumente, ich weiß, dass das Auto an vielen Stellen eine Flexibilität bietet, die die Bahn nicht bieten kann – oder zumindest nicht willens ist, anzubieten. Dennoch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Müssen denn wirklich alle Mitarbeiter*innen des Unternehmens mit dem Auto zur Arbeit kommen? Oder kann man nicht zumindest für einige einen Anreiz schaffen, den ÖPNV oder gar das Rad zu nutzen, um den täglichen Weg zur Arbeit anzutreten?
Wo ist mein Abgas?
Die Krone aufgesetzt wird dem ganzen tatsächlich aber durch die Hutladenbesitzerin am Oeder Weg. Dieser ist nämlich, um den Stadtteil verkehrstechnisch zu entlasten, zu einer Fahrradstraße mit Sitzgelegenheiten umgebaut worden. Sieht ja beinahe schön aus, wenn man das in der Reportage so sieht. Nicht allerdings, wenn man die ansässigen NIMBYs fragt – die brauchen nämlich Verkehr, Abgase und Parkplätze um frei atmen zu können.
Diese Forderung ist nicht neu. Ladenbesitzer*innen sehen nah anliegende Parkplätze für sich als eine positive Sache an, da Kund*innen ihr Auto direkt vor dem Laden abstellen können, anstatt einige Meter zu Fuß zu gehen oder, Gott behüte, den ÖPNV zu nutzen. Am Beispiel der Reportage wurde auch schon bei T-Online darauf hingewiesen, dass der Oeder Weg sehr gut an die Innenstadt angebunden ist. Wer sich also nicht zu fein ist, Zug oder Bus zu fahren, der kann die Parkplatzsuche in der Innenstadt gleich ganz umgehen. Mal ganz zu schweigen vom Innenstadtverkehr, der auch nicht viel angenehmer ist.
Doch auch abseits des ÖPNV-Arguments ist es bestenfalls kurzsichtig, die Umwandlung einer begehbaren Fahrradstraße in eine Autostraße zu fordern, wie der YouTuber Not Just Bikes in einem Video aus der Serie “Strong Towns” überzeugend belegt:
The place shown in this segment is clearly a traditional mixed-use walkable neighbourhood. This is the kind of place where, in the past, people would walk to the local shops. The mass adoption of automobiles absolutely did devastate these places, and [...] parking was a problem for shop owners. [...] You can see that the problem of downtown congestion and parking was already well-known in 1954. But they didn't look at this and think: “Hmm, maybe it's not a good idea to try and bring everybody in here by car.” Instead, they tried to make more space for all the cars.
Not Just Bikes fährt fort mit einem Statement, welchem gerade im Kontext dieser Reportage besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte: Man kann gar nicht genug Parkplätze bauen, um die Menge an Kund*innnen zu ersetzen, die man durch Fußverkehr in einer zu Fuß begehbaren Nachbarschaft gewinnen könnte. Autos sind, fundamental, ein ineffizienter Nutzen von Platz. An der Stelle eines Autos könnten drei Fahrräder oder ein halbes Dutzend Fußgänger sein. Doch weil der deutschen Gesellschaft, beinahe so sehr wie der amerikanischen, das Automobil erfolgreich als ein Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung verkauft wurde, ist es beinahe Blasphemie wenn man darauf hinweist, dass Verkehr nicht nur Autos betrifft. Man kann noch so viele Parkplätze und Fahrbahnen hinbauen, es wird niemals die Menge an Passant*innen ausgleichen, die zu Fuß an einem Laden vorbeigehen.
Entsprechend enttäuschend finde ich die Aussage des Verkehrsdezernenten Majer, der die Begehbarkeit des Oeder Weg vorsichtig als ein “Dinge mal auch neu ausprobieren”-Konzept beschreibt anstatt zu sagen, dass der scharfe Fokus auf Autoverkehr in den Innenstädten der letzten Jahrzehnte für Bewohner*innen störend und für Ladenbesitzer*innen ein Minusgeschäft ist.
Wohlfühlkost für Rückwärtsdenkende
Sicherlich war der Anspruch der Reportage nicht, ein urbanistisches Meisterstück für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu produzieren. Doch gerade wenn es konkret um Verkehrspolitik in Zeiten der Klimakrise geht muss man sich fragen, was denn letztendlich die Botschaft dieses Beitrages ist. Zu wenig Parkplätze in der Innenstadt? Mehr Autobahnparkplätze? Just one more lane, bro? Dieser Fokus auf den Individualverkehr widert mich ohnehin schon an, aber selbst abseits meiner brennenden persönlichen Überzeugungen wäre es doch zumindest sinnvoll gewesen, hier und da den Hinweis einzustreuen, dass der öffentliche Personennahverkehr ebenso existiert wie alternative Fortbewegungsmittel wie Fahr- oder gar Lastenräder. Anstatt allerdings die vorherrschende Denkweise des Priorisierens von Autos auch nur ansatzweise infrage zu stellen, bleibt hier ein etwas bitterer Nachgeschmack – genauer gesagt der von Abgasen und Beton.
Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social
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