Tanzverbot im Spießerstaat

Ein Plädoyer für das ausgelassene Tanzen. Für sich selbst, und gegen den Faschismus.

Mehrere Menschen halten ihre Hände zu Rockhänden geformt in die Höhe, im Hintergrund Rauch

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Content-Warnung: Alkohol, chemische Drogen

Auf der Tanzfläche kann ich am Besten nachdenken. Wenn Körper und Musik verschmelzen, dann macht sich der Geist gerne mal auf eine Reise durch Raum, Zeit und Welt. Dieser beinahe transzendente Zustand mag vielleicht etwas unüblich sein. Doch was eigentlich jede*r, die*der schon mal eine Nacht durchgefeiert hat, schon mal erlebt haben sollte, ist zumindest ein gewisses Gefühl der Euphorie das durch das Tanzen entsteht. Die rhythmische Bewegung mal mehr, mal weniger im Takt der Musik – Koordination ist tatsächlich zweitrangig, solange man willens ist, den eigenen Körper einfach mal machen zu lassen. Das kann man alleine machen, man kann es auch alleine in einer Menschenmenge machen. Man kann es aber auch mit anderen teilen und diese Euphorie gemeinsam spüren.

Warum zum Teufel tanzen wir also nicht viel mehr?

Motiviert zum Schreiben dieses Blogposts hat mich ein Konzert, auf dem ich gerade war. Früher war ich häufig auf Konzerten, zwischendrin eher in Techno-Clubs, und seit der Pandemie so gut wie gar nicht mehr. Dementsprechend besonders war es für mich jetzt, mal wieder mit der S8 zum Schlachthof in Wiesbaden zu fahren und drei Stunden lang die Ohren vollgedröhnt zu bekommen. Während ich mich bei der ersten Band noch etwas eingrooven musste, war dann bei der zweiten kein Halten mehr: Nach circa zehn Minuten im Set merkte ich, wie ich gedankenverloren angefangen hatte zu tanzen. Mich zu bewegen, einfach die Musik und die Riffs zu spüren. Geholfen hat dabei natürlich, dass Kvelertak eine äußerst tanzbare Band ist.

Was mir dann aber relativ schnell auffiel, nachdem ich mich der Musik ergeben hatte: Außer mir bewegte sich fast niemand. Hier und da wippte mal jemand mit, schunkelte ein wenig hin und her oder setzte gar zu einem kurzen Luftgitarrensolo an. Keinerlei Beschwerden über das letztere – wer noch nie ein solches Solo gespielt hat, werfe die erste Luftgitarre – doch konnte ich es kaum fassen, dass in einem Raum von mehreren hundert Leuten so wenig Bewegung war. Selbst die Mitwippenden waren in der Unterzahl, manche bewegten sich über das 90minütige Set so gut wie gar nicht. Einige verhaltene Rufe zwischen den Songs und Rockhände waren für viele das höchste der Gefühle. Verdammt, ihr fahrt an einem Samstagabend zu einem Livekonzert und das enthusiastischste, was euch zu entlocken ist, sind ein paar Rockhände zwischen den Songs und alle paar Minuten im 4/4-Takt klatschen? Wie kann das sein?

Hier wird es jetzt politisch

So machte ich mir Gedanken darüber, warum ich denn vielleicht nicht die einzige war, die sich bewegte, aber doch zumindest die, die das am meisten tat. Ganz schnell musste ich an eine Konversation denken, die ich erst vor wenigen Tagen geführt habe. Ein cis hetero Mann (lieb gemeint) berichtete mir mit ganz strahlenden Augen davon, wie sehr er die queere Community um die Ausgelassenheit beneiden würde, die diese beim Feiern an den Tag lege. Natürlich ist das so, dachte ich mir. Denn gerade sichtbar queere Menschen werden ohnehin den ganzen Tag lang angestarrt: In der Bahn, beim Einkaufen, bei der Arbeit. Als Frau mit Undercut und Schlüsselbund am Karabinerhaken (komplett ausgedachtes Beispiel 🤭) ist man eben oftmals ein bunter Hund im Stadtbild.

An dieser Logik entlang lässt sich auch eine Diskussion darüber führen, ob queere Menschen vielleicht eher willens sind, auch im Jahr 2023 noch eine Maske zu tragen. Denn wenn man ohnehin auffällt, kann man das ja auch mit Empathie machen. Aber diese Diskussion lässt sich sehr gut anderswo führen.

Natürlich ist es also auch so, dass ich als Mensch, der sich durchaus auch ein wenig durch das eigene Queersein definiert und der mit binären Geschlechtsvorstellungen ohnehin relativ wenig zu tun hat, am wenigsten Hemmungen davor habe, zu guter Musik auch mal zu tanzen. Denn die anderen Menschen im Raum haben ja viel zu viel Angst davor, von anderen für ihr schlechtes Getanze verurteilt zu werden. Oder es setzt sogar noch früher an: In einem Raum, in dem sonst niemand tanzt, würde man ja auf einmal auffallen, wenn man der Norm widersprechen würde. Das kann der gemeine Deutsche nicht haben. Denn wer auffällt, wer aus dem Rahmen fällt, wer anders ist, wer auch mal laut ist, wenn alle leise sind – der gehört nicht zu uns. Der muss mit dem Rasenmäher wieder ganz schnell auf Durchschnittslänge getrimmt werden, ehe sich hier noch ernsthafter Widerstand erhebt. Enthemmung ist keine Eigenschaft der deutschen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich in den letzten 80 Jahren stellenweise erschreckend wenig verändert hat.

Elektronische Zwischenklänge

Nun muss man ja sagen, dass diese Enthemmung, der Wille zu tanzen und sich ausgelassen zu verhalten, trotzdem ein Bedürfnis bleibt. Einige leben das auch durchaus aus: Man muss nur einmal eine Nacht in einem Techno-Club verbracht haben um zu wissen, dass die dort befindlichen Druffis teils mit Schließung des Clubs von der Tanzfläche geschleift werden müssen und danach trotzdem die allererste Frage ist: Wo gehen wir jetzt hin zum Aftern?

Doch ist Techno eine Musikrichtung, die in der Breite der bürgerlichen Gesellschaft nur bedingt Anklang findet. Oftmals sind es die großen Städte wie Frankfurt, Hamburg oder Berlin, die bekannt sind für ihre Techno-Szene. Eben die Städte in die diejenigen Leute fliehen, die sich in weniger urbanen Gegenden nicht wiederfinden. Raves im Wald soll es auch geben und auch kleineren Städten möchte ich ihre Techno-Szene nicht absprechen. Doch seien wir mal ehrlich: Auf dem Volksfest sind die einzigen elektronischen Klänge die Synthesizer, die für Schlager gebraucht werden. Und das Konzept, irgendwo auf einem Acker Musik für ein paar Tausend Leute zu spielen ist auch eher der Rockmusik vorbehalten.

Denn genau diese Festivals irgendwo auf einem Acker sind es, auf dem sich auch diejenigen, die 362 Tage im Jahr eher zurückhaltend sind, mal so richtig gehen lassen können. Wenn man donnerstags aus dem Auto steigt und sich in der prallen August-Sonne erstmal in einen Campingstuhl sacken lässt und sich den vom Alkoholiker-Kumpel angerührten “Mischdrink” aus ¾ Vodka und etwas Orangensaft reinknallt, dann ist man Samstag vielleicht auch mal bereit, ein bisschen zu pogen und bei Sabaton mitzugrölen, wenn die aus irgendeinem Grund schon wieder? immer noch? mit Plastikpanzer im Bühnenbild über den Zweiten Weltkrieg schwadronieren. Doch an einem normalen Samstagabend im Oktober – tja, da muss man sich dann doch etwas im Zaum halten. So viel kann man gar nicht trinken, dass man tanzen kann. Und das ist dann die beliebteste Subkultur im Lande. Kultur findet schließlich immer noch im Schlagerzelt statt.

Eine Spezi reicht

Dass der exzessive Konsum von Alkohol gar nicht nötig ist, um Spaß zu haben, muss man vielen gar nicht erzählen. Der Zug ist leider schon abgefahren. Ich auf jeden Fall habe heute Abend eine Spezi getrunken, eine richtig gute Zeit mit einigen geilen Black'n'Roll-Riffs gehabt, und nehme mir für das nächste Konzert vor, mindestens genauso enthusiastisch und wahrscheinlich auch schlecht zu tanzen. Vielleicht stecke ich ja die ein oder andere Person an und wer weiß, vielleicht fühlen die dann auch etwas von der Euphorie, die beim Tanzen aufkommt. Denn nur wer sich auch mal erlaubt, Spaß zu haben, der kann diese Freude und die dabei entstehenden positiven Emotionen letztendlich auch in die Welt hinaustragen. So steht es also: Tanzen ist politische Praxis!


Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social

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