Den Faden verloren

Der Launch von Threads in der vergangenen Woche ist ein voller Erfolg für Meta gewesen. Ich finde das ziemlich deprimierend.

Eine Nadel mit zwei durch sie gespannten Fäden vor einem schwarzen Hintergrund

Photo by amirali mirhashemian on Unsplash

Juli 2010. Mein 13. Geburtstag. All meine Freunde (bewusst nicht gegendert) in der Schule spielen Doodle Jump auf ihrem iPod touch, ich komme nach Hause und meine Eltern fragen mich, was ich denn zum Geburtstag will. Uh, die Doodle Jump-Maschine, bitte. Wird bestellt, kommt an, und nach Doodle Jump treffe ich eine Entscheidung, die mich bis heute beeinflusst: Ich lade mir Twitter runter. Ich bin schließlich nie so richtig mit den Netzwerken warmgeworden, die mich nach meinem echten Namen fragten. Weil das bedeutet ja, dass mich dann die Leute finden, die meinen echten Namen kennen. Und die wissen, dass ich ein absoluter Loser bin. Twitter fragt mich nur nach meinem Nutzernamen. Nice.

Tweet von mir aus dem Jahr 2010, "Tatsächlich scheint der VfL Wolfsburg in einer Krise zu stecken Vielleicht schreibe ich ja einen Blog darüber"

Juli 2023. Ich habe die letzten 13 Jahre mal mehr, mal weniger aktiv Twitter genutzt. Die Hälfte meines Lebens. Doch mittlerweile ist Twitter eine Clickfarm voller Nazis und Hassrede. Nach der Übernahme durch Musk suchen eigentlich alle Menschen, die noch etwas auf sich halten, nach einem Ausweg. Denn so schlecht Twitter oft war, muss man doch zugeben: Es war schon ein bisschen wie Zuhause. Und gleichzeitig hat es den öffentlichen Diskurs auf eine Weise demokratisiert, wie es so schnell wahrscheinlich nicht wieder passieren wird. Denn gerade weil Twitter nicht so an die eigene Identität gebunden war wie andere Plattformen seiner Zeit erlaubte es einem, durch Brillanz zu bestechen anstatt – wie bisher – den Diskurs aufgrund des eigenen sozialen Kapitals leiten zu können.

Dementsprechend ist auch meine liebste Verschwörungstheorie aktuell, dass Elon Musk Twitter mit dem Ziel gekauft hat, genau diesen demokratisierten Diskurs wieder zu zerstören. Die ganzen marginalisierten Randgruppen waren ihm zu unangenehm und ohne Twitter fehlt ihnen die primäre Vernetzungsmöglichkeit und das Medium, das ihnen bisher die größte Bühne versprechen konnte. Aber das ist hier Nebensache.

Denn eigentlich will ich nur mal kurz beschreiben, wie es mir mit der ganzen Sache geht: Beschissen.

Denn ich bin es leid, meine digitale Präsenz von irgendwelchen VC-befallenen Tech-Unternehmen abhängig zu machen. Ich will nicht mehr das Produkt einer Plattform sein, auf der ich nur existieren darf, weil ich derart mit Werbung bombardiert werde, dass ich zwischendurch kaum noch Posts sehe. Und vor allem will ich durch meine Inhalte nicht zur Wertsteigerung eines Mediums beitragen, das Moderation lediglich als ein notwendiges Übel ansieht, um Werbetreibende nicht zu verschrecken – und nicht als einen elementaren Bestandteil einer Community. Von den furchtbaren Arbeitsbedingungen der Moderator*innen auf den gängigen Social Media-Plattformen ganz zu schweigen.

Das Fediverse bietet all das, ist nicht profitgetrieben, komplett werbefrei, aufgrund seiner dezentralen Natur übernahmeresistent und die meisten Admins sind verdammt süße trans Frauen. Himmel auf Erden, eigentlich. Aber leider, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehrheitsfähig. Zu radikal anders gedacht als bisherige soziale Medien, ist bisher einer meiner liebsten Erklärungsansätze:

Dazu kommt noch, dass Fediverse-Software dafür gedacht ist, dass Leute miteinander reden. Das ist alles andere als selbstverständlich: Twitter, Instagram, Tik Tok – und eben auch die neuen Twitter-Rivalen BlueSky und Threads – haben als ausgegebenes Ziel das Maximieren von Engagement und Screentime. Dass Leute auf den Plattformen miteinander reden ist ein unglückliches Beiwerk und gerade Tik Tok hat es gemeistert, das passive Konsumieren von Videos in einem hyperpersonalisierten Feed als eine soziale Erfahrung zu verkaufen.

Mir geht es beschissen, ich bin es leid, doch am Ende spüre ich vor allem eins: Verzweiflung. Kein Erklärungsversuch ist genug, um die süchtigmachende Content-Maschinerie zu stoppen. Die Plattformen sind zu unintuitiv, das Konzept zu idealistisch und verschroben um zu funktionieren. Und am Ende laden sich dann 100 Millionen User*innen in der ersten Woche Threads runter obwohl die App kein richtiges Web-Interface, keinen Following-Feed und keine Hashtags hat. Der Zeitgeist scheint zu verlangen, dass man seine Seele fragenlos an die selben Unternehmen verkauft, die einem seit Jahren die Aufmerksamkeitsspanne zerschießen und einem eine zuvor nicht für möglich haltbare Menge an Hass vorsetzen.


Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social

Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial 4.0 International License.