Bei Anruf Ratlosigkeit

Wenn ihr mich fragt: WWM-Kandidat*innen nutzen ihre Joker falsch. Eine kleine Meta-Diskussion.

Die Kandidatin weiß nicht, wehr Legolas ist und benutzt dafür den Publikumsjoker

Bildquellen: RTL / Wer Wird Millionär?, Staffel 100 Folge 215

Seit einiger Zeit schaue ich mit meiner Freundin montagabends – so es denn unsere Terminkalender zulassen – gerne den Klassiker unter den Quizsendungen, Wer Wird Millionär? bei RTL. Als wir dann die letzte Sendung gemeinsam nachholten, weil ich am vergangenen Montag leider einen der besagten Terminkonflikte hatte, habe ich mich nicht nur als Kandidatin für die Sendung beworben, sondern mir kam auch eine strategische Überlegung. Denn, wenn man darüber mal genauer nachdenkt, dann nutzen viele Kandidat*innen, die bei Günther Jauch auf dem Stuhl sitzen, ihre Joker nicht in der idealen Reihenfolge.

Drei oder vier Joker?

Eine Frage, die bei Batman sicherlich akute Kopfschmerzen auslösen würde (gut so, schließlich hat Bruce Wayne genug Fuck You-Money), wird in der montäglichen Quizsendung regelmäßig gestellt: Wie viele Joker wollen Sie denn nun? Sicherheitsvariante oder Risiko? Auch dazu muss man sich also Gedanken machen, also machen wir das doch mal zuerst.

Zwar wird die Variante mit drei Jokern gemeinhin, oder zumindest von Günther Jauch selbst, als “Sicherheitsvariante” bezeichnet, aber eigentlich ist es gar nicht so selbstverständlich, dass man sie aus einer Idee der Sicherheit wählt, zumindest nicht komplett. Die eigentliche Aussage, die man mit der Wahl der Sicherheitsvariante trifft ist, dass einem 16.000€, also die Marke auf die man bei einer falschen Antwort zurückfällt, als Gewinn genügen und man ab da auch ein bisschen zocken möchte. Es gibt durchaus den ein oder anderen Menschen auf dem Quizstuhl, der zu WWM kommt, um einen festen Betrag, beispielsweise für ein neues Auto oder eine Reise, zu gewinnen und alles andere nur noch als Bonus mitnimmt. Fairerweise muss man auch sagen, dass ein Beweggrund durchaus auch die Überheblichkeit sein kann, dass man ohnehin nur drei Joker für die Million braucht. Das ist aber eher selten.

Eher häufig hingegen ist die Ansicht, dass es mit der Million etwas schwierig werden könnte, man aber mitnehmen möchte, was geht. In dem Fall macht die “Risikovariante” deutlich mehr Sinn. Denn mit einem zusätzlichen Joker kann man eventuell auch eine Frage mehr beantworten – und dann ja immer noch bei der nächsten einfach aussteigen, wenn man die Antwort nicht weiß, anstatt zu zocken. Und auch, wenn man wirklich auf die Million spielt und dabei willens ist zu zocken, ist ein zusätzlicher Joker einfach eine gute Absicherung.

So weit so gut also, aber das sind ja strategische Überlegungen. Wie ist es nun also mit der taktischen Seite, also dem Einsatz der Joker wenn man es nun tatsächlich auf den Stuhl geschafft hat und um Geld mitspielt?

Ordnung ins Chaos bringen

Ein Muster ist mir im Laufe der letzten Sendungen aufgefallen: Egal, welche Variante die Kandidat*innen gewählt haben, die Joker werden oftmals in einer ähnlichen Reihenfolge verwendet. Zuerst der Publikumsjoker, dann 50/50 oder Einzeljoker und zuletzt der Telefonjoker. Das liegt, vermutlich, daran, dass die Kandidat*innen zunächst mal ihre Joker benutzen, um tatsächlich verlässliche Antworten auf die Fragen zu erhalten, die ihnen gestellt werden. Dabei vernachlässigen sie allerdings das Power-Ranking der jeweiligen Joker und setzten diese meiner Ansicht nach suboptimal ein. Um zu erklären, wie ich auf diesen Gedanken komme, muss ich allerdings erstmal besagtes Power-Ranking aufstellen:

  1. Der Einzeljoker ist ein absoluter Sahnejoker im Vergleich zu den anderen: Aus einem Pool von etwa 100 Menschen hat man die Möglichkeit, eine Aussage von einer Person zu erhalten, die immerhin eine qualifizierte Vermutung anstellen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Joker straight up eine Frage beantworten kann, bei der Expert*innenwissen vorausgesetzt wird, ist also vergleichsweise hoch.
  2. Der Publikumsjoker ist auch ein qualitativ relativ hochwertiger Joker, allerdings ist man hier deutlich abhängiger davon, dass die Frage kein Wissen benötigt, das sehr spezifisch für bspw. einen Beruf oder eine Wissenschaft ist und deswegen vom Publikum nicht gut beantwortet werden kann. Wichtig ist auch, dass man vorher nicht allzu viel spekuliert, um bei schwierigeren Fragen das Ergebnis nicht allzu sehr zu beeinflussen. Dennoch kann der Publikumsjoker sehr nützlich sein, wenn man auf dem Schlauch steht.
  3. Ein etwas besonderer Fall ist der 50/50-Joker. Einerseits ist er der einzige Joker ohne Interaktion mit Publikum oder vorher gewählten “Expert*innen”, andererseits setzt er auch ein gewisses Vorwissen über die Frage voraus. Wenn man zwischen zwei Antwortmöglichkeiten schwankt, die anderen zwei allerdings komplett verwerfen kann, kann der 50/50 ein Geschenk Gottes sein. Wenn man keine Ahnung hat, macht er einem das Leben aber auch nicht einfacher. Deswegen wird er auch oft im Verbund mit anderen Jokern benutzt. Ich würde ihn also leicht schlechter als den Publikumsjoker einstufen – but not by much.
  4. Kommen wir zum schlechtesten Joker, dem Telefonjoker. Das Problem hier ist, dass man die geladenen “Gäste” vorher aussuchen muss und deswegen nicht dynamisch auf eine besonders knifflige Frage reagieren kann. Zudem hat man nur 30 Sekunden, um Frage und Antwortmöglichkeiten vorzulesen und eventuelle Besprechungen zu halten. Entweder weiß die Person also sofort die Antwort, oder der Joker verpufft einfach.

Aufgrund dieses Rankings und der angeführten Gründe finde ich es ehrlich gesagt etwas verwunderlich, dass die meisten Kandidat*innen ihre Joker in der selben Reihenfolge benutzen: Erstmal Publikumsjoker, dann 50/50 oder Einzeljoker und am Ende hängen sie bei der 32.000€-Frage und haben zwar noch den Telefonjoker übrig, aber wissen selbst auch, dass da mehr als ein “Boah du, keine Ahnung, sorry” nicht aus der Leitung kommen wird.

Legolas oder Rentenversicherung?

Oberflächlich verstehe ich die Reihenfolge ja: Man möchte erstmal die Joker benutzen bei denen man weiß, dass man eine Antwort bekommt. Und vielleicht hat man eine*n Ornitholog*in ans Telefon gebeten und wartet auf die Frage nach dem Vogel des Jahres 2022. Dann wäre das Nutzen des Telefonjokers natürlich super. Betrachten wir allerdings mal die Situation, wie sie im Bild oben im Artikel gewesen ist:

Die Kandidatin weiß nicht, wehr Legolas ist und benutzt dafür den Publikumsjoker

Dies war für mich nämlich der Stein des Anstoßes für diesen Blogpost. Die Kandidatin sitzt vor einer relativ einfachen Frage, hat allerdings Herr der Ringe nie gesehen und war auch im letzten Jahrzehnt nicht viel im Internet unterwegs. Dass sie hier einen Joker nutzt, ist vollkommen legitim. Warum allerdings bei so einer “billigen” Frage den zweitbesten Joker benutzen? Hier könnte sie einen beliebigen Menschen unter 40 anrufen, vielleicht noch jemandem von dem sie weiß, dass die Person ein Film-Buff ist und sofort eine Antwort bekommen. Dann hätte sie den Publikumsjoker noch und den, um ehrlich zu sein, etwas leidigen Telefonjoker sinnvoll eingesetzt. Nämlich für eine Frage, auf die jemand direkt eine Antwort wissen kann, ohne nachzudenken.

Dass sie sich hier eine Schlinge gedreht hat, wurde später noch klarer: Wie die meisten Kandidat*innen bei Wer Wird Millionär? hat sie in den darauffolgenden Fragen noch den 50/50 und den Einzeljoker verwendet und ist dabei tatsächlich zu antworten gekommen – bis sie bei der 16.000€-Frage komplett ratlos war und nur noch den Telefonjoker hatte. Also hat sie angerufen:

Auffällige Ähnlichkeit mit der ukrainischen Flagge hat das Logo der Deutschen Rentenversicherung, Telefonjoker ist allerdings ratlos

Wenn sie hier noch den Publikumsjoker gehabt hätte, wäre sie wohl auf die 16.000€ gekommen. Denn das ist nicht nur eine Frage, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Menschen im Publikum wissen, zumindest durch das Ausschlussverfahren (Bahn und Post dürften die meisten Leute ja kennen). Die Visualisierung der jeweiligen Logos in 30 Sekunden am Telefon ist allerdings nicht so einfach, und man verlässt sich hier auch darauf, dass ein Mensch das tatsächlich weiß.

Plädoyer für mehr Joker-Bewusstsein

Natürlich ist das nur ein Beispiel. Allerdings ist es mir als Muster aufgefallen, seit ich wieder regelmäßig Wer Wird Millionär? schaue. Viele Kandidat*innen wissen nicht, wann sie den Telefonjoker einsetzen sollen, warten damit bis zuletzt, sitzen dann vor einer unmöglichen Frage und dürfen das dann verzweifelt am Telefon erklären. Ein Publikums- oder gar Einzeljoker wäre hier die Rettung, der wurde aber oftmals schon vorher bei einfacheren Fragen verwendet.

All das ist natürlich nur rein theoretische Überlegung. Die Bewerbung auf den Quizstuhl für mich ist zwar raus, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering – und vielleicht würden dann, sollte ich es durch die Auswahl schaffen, auch so sehr die Nerven mit mir durchgehen, dass ich auch bei 32.000€ mit dem Telefonjoker sitze. Allerdings möchte ich zumindest diese Überlegung mal in den Äther geworfen haben: Wäre es nicht sinnvoller, den Telefonjoker (so man ihn denn dort braucht) bei einfacheren Fragen zu benutzen, um bei den schwierigeren tatsächlich auf nützliche Joker zurückgreifen zu können? Sicherlich kann das auch mal den Unterschied zwischen 64.000€ und 125.000€ machen.


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