Auswärts bei der SG Andernach

Zwei Spiele an zwei Tagen. Das eine komplett zum Vergessen, das andere eigentlich auch – aber es geht ja nicht nur um den Sport.

Um das Spiel der Eintracht Frauen gegen Bayer Leverkusen am gestrigen Samstag soll es hier mal nicht gehen. Denn ich habe etwas gemacht, was im letzten Jahr selten gewesen ist: Ich habe mal wieder ein Spiel der Eintracht in einem privaten Kontext besucht. Auch wenn ich gerne in der Fanbetreuung arbeite, geht mir der private Genuss des Eintracht-Fußballs doch ab und zu mal ab. Wobei es in diesem Fall eher Zufall als Plan war, dass ich unserer Zweitvertretung in der 2. Frauen-Bundesliga hinterherreise, wie ich das auch bei den Profis in der 1. Liga schon seit längerem tue.

Warum Andernach?

Meine Motivation war viel mehr, dass ich an diesem Wochenende, bevor für mich das Sommersemester beginnt, nochmal eine nette kleine Tour machen wollte, wie ich das in den vergangenen Monaten bereits zum SV Sandhausen, zur SG Barockstadt Fulda-Lehnerz und in Richtung Waldhof Mannheim getan habe, um mir einfach mal den Fußball in der näheren (und zugegeben etwas weiteren) Umgebung anzuschauen. Was mir dabei allerdings noch fehlte, war ein Spiel einer Frauenmannschaft. Wenig überraschend, aber doch ein wenig enttäuschend, ist es nämlich etwas schwieriger, hochklassigen Frauenfußball zu finden, für den man nicht die halbe Republik durchqueren muss. Und die Frauen-Bundesliga fällt ja auch raus, denn bis auf das AOK-Stadion in Wolfsburg werde ich nach der Saison alle Grounds in dieser Liga gemacht haben. Dabei war ich schon zweimal in Wolfsburg! Die Spiele werden halt immer wieder in die VW-Arena hochverlegt.

Das macht Andernach als Ziel natürlich umso attraktiver, denn die wollen ja tatsächlich gar nicht aufsteigen. Sportlich spielen die Bäckermädchen, wie das Team in Andernach genannt wird, seit einiger Zeit im oberen Tabellendrittel der 2. Frauen-Bundesliga mit, allerdings ist der Schritt in den Profifußball von dort aus doch noch ein großer. Das Stadion Andernach müsste umgebaut werden, es fehlen Sitzplätze und ein Flutlicht. Und auch was den Staff angeht haben es die Auflagen vom DFB mittlerweile in sich, wenn man ein Amateurklub ohne überdurchschnittlichen regionalen Rückhalt oder zumindest semi-erfolgreiche Männerabteilung ist. Das macht es unwahrscheinlich, dass ich in einem beruflichen Kontext jemals nach Andernach fahren werde, weshalb dieser Trip recht hoch auf meiner Liste von Stadien, die ich noch sehen möchte, war.

Der Weg dahin

Da ich kein Auto habe, und auch kein Bedürfnis mir für solche Fahrten eines zu mieten, fand die Anreise mit dem Zug statt. Die war etwas umständlicher als eigentlich nötig, was allerdings eine freiwillige Entscheidung war. Denn theoretisch muss man von Frankfurt aus nur einmal umsteigen, um mit dem Regionalzug bis nach Andernach zu kommen: Mit der S9 bis zum Mainzer Hauptbahnhof und von dort in den stündlich verkehrenden RB Richtung Köln Messe/Deutz und schon ist man da.

Da ich mir für alles ordentlich Puffer einbauen wollte – wir reden hier schließlich von der Deutschen Bahn – bin ich allerdings stattdessen mit der S8 bis Niederrad gefahren und von dort in den RE nach Saarbrücken eingestiegen, der mich dann nach Mainz gebracht hat. Eine kleine Detour, die dafür sorgte, dass ich in Mainz etwa fünf Minuten mehr Umsteigezeit hatte.

Von Mainz ging es dann im nahezu durchweg reichlich vollen durch jedes, und damit meine ich wirklich jedes, Dorf am Rhein zwischen Mainz und Andernach. Das hätte einen beinahe ärgern können, wäre die Landschaft entlang des Rheins nicht so unheimlich malerisch. Als Beispiel hierfür kann ich nur den Blick aus dem Zugfenster in Sankt Goarshausen anbringen.

Burg!!! Auf einem Berg!!! Umgeben von Wald, direkt am Rhein

Malerisch. Ich hatte mir eigentlich ein Buch mitgenommen, war dann aber doch weitgehend damit beschäftigt, aus dem Fenster zu blicken und mir die Umgebung anzuschauen. Bei den steilen Hängen, die der Rhein durch die schiere Macht des Wassers über Jahrhunderte wie eine Schneise in die Landschaft reingefräst hat, fand ich es nur angebracht, ein wenig Bewunderung für die unheimliche Macht des Wassers entfalten zu lassen – eine Macht, die so groß ist, dass selbst wir Menschen uns dem geschlagen geben müssen. Deutschland ist so dich besiedelt, aber hier reicht es doch meist für nicht mehr als 1-2 Häuserreihen, ehe der Hang zu steil wird, um ihn zu besiedeln.

Gebührende Begrüßung

Mit circa zehn Minuten Verspätung erreichte ich dann Andernach und wurde in dem etwas klaustrophobischen Bahnhofsgebäude, in dem sich aber immerhin auch ein Hacker- und Makerspace befindet (hatte leider nicht offen, direkt gebührend begrüßt.

Graffiti an einer weißen Wand: 'Frankfurt bleibt radikal'. 'Radikal' ist durchgestrichen, stattdessen hat dort jemand 'schwul' hingeschrieben

Sicherlich beleidigend gemeint, allerdings entlockte es mir bei dem Anblick doch ein kleines “Hell Yeah!”. Ich wünschte, Frankfurt wäre so schwul, wie es dieses Graffiti impliziert.

Derartig den Rücken gestärkt machte ich mich auf den Weg zum Stadion, der vom Andernacher Bahnhof übrigens tatsächlich über den Kurfürstendamm führt. Den gibt es nicht nur in Berlin!, sondern auch in der Weltstadt Andernach. Zeit, um mir etwas zu essen zu holen, war auch noch, also holte ich mir beim erstbesten Dönerladen eine Pizza und aß sie auf der nächstbesten Bank. Meine Ansprüche waren gering: Weil in Frankfurt sonntags um 11 anscheinend nur im Nordend Bäckereien geöffnet haben, hatte ich noch nicht gefrühstückt. Nach dem Essen dann einfach weiter geradeaus zum Stadion.

Der actual Hopper-Part. Worüber habe ich hier bisher überhaupt geredet?

Das Stadion Andernach ist etwas außerhalb der Stadt hinter einer Unterführung ziemlich gut versteckt hinter einigen Bäumen. Meine Gedanken, als ich in die Nähe des Stadions kam gingen in die Richtung Irgendwo hier müsste es dann sein und Vielleicht hätte ich vorher fragen sollen, wie man herkommt? Beschildert ist auf jeden Fall nichts, auch wenn dann irgendwann das Gitter zum Eingangsbereich sichtbar wurde. Ein paar Leuten konnte ich immerhin auch folgen, um den Weg zu finden – eine Taktik, die sich bei bisherigen Stadionbesuchen eigentlich immer bewährt hatte, diesmal allerdings an seine Grenzen stieß, da der Publikumsverkehr vor dem Stadion bei meiner Ankunft noch vergleichsweise gering war.

Trotz alledem fand ich meinen Weg auf das Stadiongelände, zahlte meine 4€ Eintritt (ermäßigt, Vollpreis 6€), holte mir direkt neben der Kasse an einem kleinen Stand, der nur Getränke verkaufte, eine Afri-Cola (2€ plus 50 Cent Pfand) und stand nun in einem für das Publikum völlig überdimensionierten Stadion. Für knapp 15.000 Leute ist das Stadion Andernach ausgelegt, alles Stehplätze auf einem Grashügel.

Im Vordergrund eine Eintrittskarte für das Heimspiel der SG Andernach Frauen gegen die Zweitvertretung der Eintracht. Im Hintergrund das Stadion Andernach. Viel Grün.

Nur die Gegentribüne hat ein paar Stufen, eine historische Holztribüne auf Seiten der Trainer*innenbänke, die immerhin knapp 100 Leuten Platz bieten würde, ist aus sicherheitstechnischen Gründen komplett geschlossen. Ein Großteil der Fans sammelt sich so um das Mundloch am Eingang des Stadions, wobei einige Superfans sich tatsächlich auf der anderen Seite des Stadions niedergelassen hatten und dort auch Nutzen von Trommel und Megaphon machten.

Das Essen kann ich leider nicht beurteilen, da ich satt am Stadion ankam, allerdings habe ich auch nur die standardmäßige Stadionwurst gesehen. Dementsprechend ist es gut möglich, dass ich als Vegetarierin ohnehin keinen Erfahrungsbericht hätte geben können. Ich weiß schon, warum ich vorher gegessen hab.

Das Spiel selbst wurde von den Bäckermädchen bestimmt, die die Eintracht über weite Strecken gut im Griff hatten. In der 39. fiel dann das verdiente 1:0 durch Carolin Schraa, die mit einem technisch starken Dribbling auf der rechten Seite Emily Wallrabenstein ziemlich alt aussehen ließ und den Ball dann von dort einschieben konnte – ihr neuntes Saisontor. Auch wenn durch die unheimlich kratzigen und von meiner Position aus kaum verständlichen Stadionlautsprecher erstmal Leonie Stöhr als Torschützin verkündet wurde.

Auch sonst spielten sich die Bäckermädchen einige Chancen heraus, gerade Standards kamen auch oft sehr gefährlich. Mit 1:0 ging es dann in die Pause. Ein weiteres Tor fiel in der 80. durch Kathrin Schermuly, was den Sieg für die Andernacherinnen perfekt machte. Ich sah hier eine absolut solide, reife Mannschaft, die technisch stark gegen die zugegebenermaßen recht jungen Spielerinnen der Frankfurter Zweitvertreterinnen aufgetreten sind.

Eine LED-Tafel am Funktionsgebäude des Stadion Andernach zeigt den Endstand: 2:0 für die Bäckermädchen.

Nach dem Spiel kann ich absolut verstehen, warum sie die 2. Liga seit einiger Zeit so aufmischen – umso trauriger ist es, dass die sportliche Leistung nicht mit einem Aufstieg belohnt werden kann. Honoriert werden die Bäckermädchen dafür immerhin mit einem ansehnlichen Zuschauer*innenschnitt: 394 Menschen sahen dieses Spiel. Hier dürfte zwar der Gegner einiges ausgemacht haben, da ich in Andernach selbst auch den ein oder anderen Eintracht-Adler gesehen habe und auch im Stadion hier und da mal ein SGE-Trikot aufblitzte. Allerdings ist das trotzdem im oberen Drittel was das öffentliche Interesse in der 2. Frauen-Bundesliga angeht. Und an einem guten Tag könnte man mit 394 Zutritten auch dem ein oder anderen Bundesligisten die Show stehlen.

Gerade der direkte Vergleich zu Bayer Leverkusen am Vortag drängt sich hier auf; bei den beiden Toren der Werkself war es im Stadion wirklich mucksmäuschenstill. Das war in Andernach anders. Dafür war die Stimmung abseits von konkreten Ballaktionen eher ruhig. Allemal das kleine Grüppchen auf Seiten der Trainer*innenbank war hier und da mal, dank Megaphon sogar recht deutlich, zu hören. Das hatte zwar einen Hang zur Rückkopplung nach jedem Satz, der Sprecher wurde allerdings trotzdem nicht müde, Prachtstücke wie “Los Julia, du kannst es ja!” und “Komm Caro, mach uns alle froh!” verlautbaren zu lassen. Auch der ein oder andere repetitive “An-Der-Nach! An-Der-Nach!”-Gesang wurde angestimmt und, zur Freude des Sprechers, von einigen Kindern auf Seiten des Mundlochs vorsichtig erwidert. Der Versuch, besagte Kinder mit einem beherzten “Und jetzt Alle!” zu weiteren Gesängen zu lenken war allerdings zum Scheitern verurteilt. Ich hoffe, dass sich hier noch ein bisschen was entwickeln kann. Die 2. Frauen-Bundesliga wird hoffentlich in den kommenden Jahren nur noch interessanter und die SG Andernach hätte eine, zumindest dem Umfeld angemessene, Fanszene verdient.

Denn es war schon etwas auffällig, wie wenig der sehr gute Fußball, der hier gespielt wird, sich im Stadtbild von Andernach wiederfindet. Bei den Männern reicht es, einen unterdurchschnittlich performenden Regionalligisten in der Stadt haben, damit die gesamte Innenstadt mit Stickern zugekleistert ist. In Andernach, wo die Frauen aktuell an der Tabellenspitze sind, streiten sich der 1. FC Köln, TuS Koblenz und Eintracht Frankfurt um das Sticker-Vorrecht an den Laternenpfählen. Auch hier: Schade! Mit etwas mehr Rückhalt aus der Region und vielleicht ein bisschen Appeal zur Jugend statt zu Rentner*innen und jungen Familien sehe ich hier großes Potenzial.

Aftermath

Woher ich das mit dem unterdurchschnittlichen Regionalligisten habe, kann ich auch direkt sagen. Denn nach dem Spiel hatte ich mir noch etwas Zeit eingeplant, bis ich in den ICE zurück nach Frankfurt gestiegen bin, um was-auch-immer zu machen. Da mein Zug in Koblenz fuhr und die Stadt touristisch doch noch etwas mehr zu bieten hat als Andernach, bin ich in den nächsten Regio dorthin gestiegen – interessanterweise der gleiche Regio, der mich auch hergebracht hatte. Ausgestiegen in Koblenz-Stadtmitte bin ich dann noch ein bisschen durch die Fußgängerzone geschlendert, denn mich dürstete es nach Bubble Tea. Den hätte ich zwar auch in Andernach bekommen können, doch das Geschäft welches sich zwischen Stadion und Bahnhof befindet, hat leider sonntags zu. So viel also zu dem Plan, rund um den Stadionbesuch die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Tja.

Meinen Bubble Tea habe ich trotzdem bekommen, und ihn dann sogar mit Blick aufs Deutsche Eck trinken können. Das ist genau der Touri-Shit, den ich auf solchen Auswärtsfahrten machen möchte. Einfach head empty in Richtung der nächsten Sehenswürdigkeit laufen und konsumieren.

Ein Bubble Tea. Im Hintergrund ist das Deutsche Eck zu sehen.

Den Bubble Tea konsumiert machte ich mich dann langsam auf den Weg Richtung Hauptbahnhof. Praktischerweise fuhr direkt vom Deutschen Eck ein Bus dorthin. Der fährt zwar nur einmal pro Stunde, allerdings war ich ein bisschen lucky mit dem Timing und musste nur knappe fünf Minuten warten. Sogar Zeit zum Innehalten war noch, den auf dem Weg dorthin sah ich ein Straßenschild, das ich nicht ignorieren konnte.

Straßenschild 'Danziger Freiheit' ist durchgestrichen, darunter hängt ein Schild auf dem 'Esther-Bejarano-Straße' geschrieben steht.

Mit viel zu viel Zeit kam ich am Koblenzer Hauptbahnhof an, konnte noch ausgiebig den dort befindlichen Bahnhofsbuchladen inspizieren und auch noch einige Seiten lesen, bevor dann mein ICE einfuhr. Natürlich mit Verspätung. Insgesamt allerdings ein absolut gelungener Tag in Andernach und Koblenz. Bisher noch die schönste Groundhopping-Tour. Da lässt sich die Auswärtsniederlage für unsere zweite Mannschaft absolut verschmerzen – wobei das auch damit zusammenhängen könnte, dass Zweitvertretungen meiner Meinung nach nicht in die Liga gehören. Nun ja, für dieses Mal war ich froh, einen Anlass gehabt zu haben.


Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social

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