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Nach Twitter meldet nun auch Reddit, dass es seine User*innen eigentlich gar nicht leiden kann. Hat jetzt die Stunde der RSS-Reader geschlagen?

Screenshot von r/AskHistorians als das Subreddit privat war mit einem Link zum Statement bzgl der Reddit-API

Bildquelle: Screenshot von r/AskHistorians am 13.06.2023. Link zum vollen Statement

Das Jahr 2023 ist kein einfaches Jahr für Menschen, die, wie ich, terminally online sind. Zwar kaufte Elon Musk bereits im November '22 die Mikroblogging-Plattform Twitter, allerdings war das noch mit ein wenig Begeisterung über das “neue” Fediverse, speziell Mastodon verbunden. Und einem kurzen Moment, in dem es möglich erschien, dass die breite Masse von Twitter auf einen dezentralen, ActivityPub-basierten Dienst wechselt. Der Moment ist vorbei, Mastodon hat sich aus verschiedenen Gründen nur bedingt durchgesetzt, die hier gar nicht Thema sein sollen – auch wenn ich einer Verlinkung nicht widerstehen kann, um zumindest einen Aspekt zu beleuchten. Stattdessen ist Twitter nachgewiesenermaßen und auch im eigenen Erleben rechter, reaktionärer, menschenfeindlicher, kurz: zu einer Wüste geworden.

Dies trifft mich persönlich nur bedingt, da ich selbst mit Mastodon und dem Fediverse schon seit 2019 meine Erfahrungen sammle. Ich hatte also durchaus etwas Vorlauf, um zumindest was Mikroblogging angeht nicht gänzlich von Twitter abhängig zu sein. Das bedeutet nicht, dass ich Twitter nicht mehr benutze: Speziell für meine Nischenthemen (Frauenfußball!) und den Kontakt zu einigen Freund*innen bringe ich es (noch) nicht übers Herz, mich gänzlich von Twitter zu lösen. Sofern sich an dieser Situation nichts ändert, werde ich mich wohl damit arrangieren müssen, auf einer Plattform unterwegs zu sein, die einem Faschisten gehört, gänzlich alternativlos bin ich aber nicht.

Viel Arbeit für nichts

Deutlich härter trifft mich der Schlag, den Reddit seinen User*innen nun verpasst hat. Anscheinend hat man sich vom Crackdown gegen Third-Party-Apps, der bei Twitter bereits letztes Jahr nach Musks Übernahme gestartet hat und Anfang diesen Jahres in vollen Schwung geriet etwas abgeschaut. Nämlich kündigte man vor etwas über einer Woche an, dass Anbieter von Reddit-Apps ab Juli für API-Zugriff exorbitant hohe Summen – nach Rechnungen des Apollo-Entwicklers 20 Millionen USD für drei Millionen Nutzer*innen – wird zahlen müssen. Die Beweggründe sind auch sowohl bei Reddit als auch Twitter sehr ähnlich: Am Ende geht es um Geld. Während bei Twitter noch irgendwelche wirren Tweets von Elon und ein Poop-Emoji 💩 als offizielle Begründung ausreichen müssen, kann man sich im Falle von Reddit die direkte Korrelation zwischen dem für Ende des Jahres geplanten Börsengang und dem aggressiven Abschalten von Third-Party-Apps denken: Die Plattform hat, nach eigener Einschätzung, kritische Masse erreicht und muss jetzt so langsam mal Geld abwerfen.

Bei Twitter wie bei Reddit heißt das, die Arbeit, die Entwickler*innen der jeweiligen Apps seit mittlerweile über einem Jahrzehnt in ihre Software gesteckt haben, nicht nur nicht zu würdigen, sondern sich diesen gegenüber aktiv feindlich zu verhalten. Schließlich kann man Nutzer*innen nur in der Offiziellen App™ verlässlich die eigenen Monetarisierungs-Schemata und genug Werbung zeigen, um tatsächlich profitabel zu sein. Es ist also aus Sicht der Unternehmen nicht länger notwendig, durch Bedienbarkeit und gute Inhalte um Nutzer*innen zu werben. Wo sollen sie denn sonst hingehen? Als Digg vor etwas über einem Jahrzehnt einige unbeliebte Änderungen vornahm, war das Internet noch nicht zentralisiert genug, die meisten Leute die sich dort bewegten noch zu cisweißanfang20 und technikaffin um eine Migration zu verhindern. Doch jetzt, wo Reddit und Twitter sich aktiv verschlechtern, ist von einer solchen Bewegung zu einer alternativen Plattform noch nicht wirklich was zu sehen. Mal ganz davon abgesehen, dass Reddit über die Jahre so viel leicht auffindbares Nischenwissen akkumuliert hat, dass es oftmals bei Suchanfragen ganz oben ist. Beispiel: Der Link zu r/eli5 oben über die Digg-Migration war das erste Suchergebnis.

Blackouts bei Kerzenlicht aussitzen

Während bei der Twitter-Übernahme kurz ein Funken Hoffnung in Form des Fediverse aufschimmerte, üben sich die führenden Köpfe hinter vielen Reddit-Communities (die Mods, ich meine die Mods) noch ausschließlich in Protest. In den letzten beiden Tagen haben sich viele Communities entweder gleich auf privat geschaltet oder zumindest keine neuen Posts mehr zugelassen. Dieser 48stündige Blackout als Zeichen des Protests zeigt wenigstens, dass bei der Reddit-Community Macht durch die Moderator*innen der jeweiligen Subreddits so konsolidiert ist, dass es gegen unbeliebte Admin-Entscheidungen zumindest das Mittel des organisierten Streiks gibt. Einige Subreddits führen die Maßnahmen in der ihnen passenden Form weiter, viele binden ihre Communities ein und erkundigen sich bei den aktiven Nutzer*innen nach Wünschen für das weitere Vorgehen.

Während allerdings bei vielen Subreddits eine digitale Form der direkten Aktion ausgeübt wird, gibt sich die Geschäftsführung von Reddit vergleichsweise unbeeindruckt. So heißt es in einem Memo von CEO Steve Huffmann, welches bei The Verge veröffentlicht wurde:

There’s a lot of noise with this one. Among the noisiest we’ve seen. Please know that our teams are on it, and like all blowups on Reddit, this one will pass as well. The most important things we can do right now are stay focused, adapt to challenges, and keep moving forward. We absolutely must ship what we said we would.

Das kurzfristige Wegfallen vieler Subreddits, darunter Größen wie r/aww und r/technology, scheint also vielleicht für Aufsehen gesorgt zu haben – einen großen Effekt auf die Entscheidungsfindung von Reddit selbst hat das aber wohl nicht gehabt. Es bleibt zu beobachten, wie sich die Situation entwickelt, wenn einige dieser Subreddits auch weiterhin protestieren.

Die Enshittification hat begonnen

Unabhängig davon ist der ganze Wirbel, der um diese Entscheidung entstanden ist, allerdings in meinen Augen ein relativ klares Zeichen, dass zentralisierte, profitgetriebene Social Media-Plattformen langfristig für all diejenigen nicht tragbar sind, für die die dort existierenden Communities einen Wert besitzen. In guten Zeiten ist sicherlich auch schon nicht alles ideal, aber spätestens wenn man aufhören soll zu reden und anfangen, Sachen zu kaufen wird jede Plattform zu einem Ort, der bestenfalls nutzer*innenfeindlich ist.

Freilich ist das alles nichts neues. Es ist sogar ein so bekanntes Muster, dass es mittlerweile einen Begriff dafür gibt: Cory Doctorow beschrieb diesen Prozess im Januar diesen Jahres als Enshittification, der Begriff verbreitet sich seitdem wie ein Lauffeuer. Kurz zusammengefasst: Eine Plattform muss zuerst einen Mehrwert für seine Nutzer*innen bieten. Ist dieser erreicht und die Plattform hat genug Marktanteile, kann man den Mehrwert für Nutzer*innen zurückfahren – wo willst du denn schließlich sonst hin? – und die Plattform attraktiv für Geschäftskunden machen. Die wollen schließlich da sein, wo die Action ist und wenn man ihnen gute Deals macht, sind sie auch schnell zu überzeugen.

Hier war Reddit vor einigen Jahren, als man von einer Free Speech-Plattform (hier ist die rechte Definition von Free Speech gemeint, also menschenfeindliche Hetze) zu einer Plattform wurde, bei der man NSFW-Inhalte nur auf ausdrücklichen Wunsch zu Gesicht bekommt. Lange gezählt sind die Tage von r/WatchPeopleDie, r/FatPeopleHate und... diversen anderen, explizit rassistischen, Communities, deren Namen ich hier nicht nennen möchte. Ich möchte diese Subreddits und ihre Communities bei weitem nicht als “attraktiv” für die meisten Menschen bezeichnen und es bereitet mir auch überhaupt keine Schmerzen, dass es sie nicht mehr gibt. Aber der Fakt ist: Lange Zeit gehörten diese zum Bild von Reddit und wirklich eingeschritten wurde erst, als man die Plattform attraktiv für Werbetreibende machen wollte.

Der letzte Schritt in der Enshittification ist das Ausnutzen der Geschäftskunden, um mehr Geld für Shareholder rauszuholen. Denn irgendwann reicht es nicht mehr, eine lukrative Plattform zu haben. Irgendwann wird von Aktionär*innen eingefordert, die lukrativste Plattform zu sein, die möglich ist. Dafür ist man bereit, über Leichen zu gehen. Und schließlich zu einer Leiche zu werden. Denn, wie Doctorow im oben verlinkten Text es sagt:

Then, they die.

...Boredom Won't Get Me Tonight

In den Worten der schwedischen Punk-Band Refused: So where do we go from here? Just about anywhere.

Klar ist: Die Tage von Reddit sind, ebenso wie die von Twitter, gezählt. Die Zeit, fruchtbare Alternativen zu suchen und sie aufzubauen, ist jetzt. Idealerweise handelt es sich dabei nicht um die nächste zentralisierte, profitorientierte Plattform eines Silicon Valley-Techbros sondern um eine dezentrale, von der Community betriebene und finanzierte Alternative. Das nicht nur in Einklang zu bringen mit Attraktivität für die allgemeine Masse, sondern auch mit Sicherheit für marginalisierte Menschen, ist die Herausforderung, vor der die existierenden Alternativen aktuell stehen. Denn ich kann mich gerne in den Park stellen und Predigten darüber halten, wie viel besser Föderation für die Nachhaltigkeit einer Plattform ist, am Ende muss eine Alternative eben auch einfach Spaß beim Nutzen machen. Mastodon ist davon noch etwas entfernt, mal ganz davon abgesehen, dass der Sicherheitsaspekt im besten Fall abhängig von der eigenen Instanz ist. Und Lemmy ist zu klein, um solche Fragen beantworten zu können.

Ich persönlich habe für mich mittlerweile erkannt, dass ich so viel wie möglich selbst hosten möchte. Denn nur das, was selbst gehostet ist, ist auch in meiner Hand. Für größere Unterfangen wäre es ideal, eine Gruppe von Menschen zu haben, die sich dem annehmen – und die natürlich auch vertrauenswürdig sein muss. Ganz zurück zum RSS-Reader hat es mich noch nicht getrieben, aber es hat immerhin meine Augen in die Richtung geöffnet, dass ich mich nicht mehr völlig abhängig von den bekannten Social Media-Plattformen machen möchte. Und vielleicht ist das ja auch der Schluss, zu dem ihr am Ende dieses Posts kommt: Fangt doch einfach mal an, zu bloggen. Erstellt eure eigene kleine Website, auf der ihr Kram sammelt, den ihr interessant findet. Kurz: Become ungovernable.


Anderswo im Fediverse als @dxciBel@fruef.social

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